Controlling 21
Dr. J. Schuhmacher
Sie haben durchaus richtig gelesen. Wissenschaftliche Untersuchungen rechtfertigen einen Plural für Aufmerksamkeit.
Überall hört und ließt man über das Jammern und Wehklagen aufgrund der zurückgehenden Aufmerksamkeit. Besonders Jugendliche und Manager sollen davon betroffen sein. Manchmal postuliert man sogar Aufmerksamkeitsdefizite der Gesellschaft allgemein.
Allerdings handelt es sich hierbei vermutlich nur um einen natürlichen Schutzmechanismus bzw. eine gesunde Anpassungsreaktion des Menschen:
Wertloses wird nicht so beachtet oder sogar aktiv gefiltert.
Allerdings ist der Wahrnehmungsprozess komplizierter als die meisten Menschen und vor allem Internet-Gestalter wissen:
Unsere Sinnesorgane liefern vermutlich alle Sinneseindrücke ungefiltert an das Gehirn. Dort wird eine quasi automatische, unwillkürlich ablaufende Vor-Analyse durchgeführt und danach erst von uns nochmals der Rest bewusst gefiltert.
Die Voranalyse arbeitet evtl. wie parallele Prozessoren in PCs und scheint extrem schnell und mit riesiger Kapazität ausgestattet zu sein. Sie reagiert jedoch auf für uns "wichtige Signale" und setzt unseren bewussten Filter dann außer Kraft und lenkt unsere Aufmerksamkeit um.
Der aktive Filter setzt somit erst beim Speichern von Informationen ein und nicht bereits beim Wahrnehmen von Sinneseindrücken.
So erkennen wir einen blinkenden Warnhinweis, wie wir auch in einer Diskothek unseren Namen aus einem anderen Gespräch aufnehmen können, obwohl wir uns bewusst auf etwas anderes konzentriert haben.
Langfristig erlernte oder biologisch reflexartige Gewohnheiten prägen den individuellen automatischen Vorfilter.
Ein gutes Beispiel hierfür ist der Stroop-Effekt: Die Wahrnehmung von Farben wird von uns bewusst gesteuert, während das Lesen von Wörtern parallel hierzu unbewusst abläuft und uns erheblich ins Stocken bringen kann. Dieser Interferenzeffekt führt beim Sprechen zu Schwierigkeiten, weil wir schneller Wörter lesen können, als z.B. die Farbe der Schrift dieser Wörter aktiv zu bestimmen.
Der Stroop-Effekt ist folglich ein Beispiel für eine unergonomische Aufmerksamkeitslenkung.
Wie erstellt man Aufmerksamkeit erhaltende Inhalte?
Das Ziel guter Gestaltung ist, die Aufmerksamkeit zu gewinnen, zu lenken und zu behalten.
Dies gelingt am leichtesten mit:
Die Literatur unterscheidet hier zwei Zustände, die jedoch oft unterschiedlich benannt werden:
Diese Dualität menschlichen Verhaltens ist normal und muss deshalb bei der Ergonomie berücksichtigt werden:
Man kann diese unterschiedlichen Nutzergruppen auch in sich widersprechende Navigationsverhalten / Navigationsstile umdeuten.
Wohlgemerkt handelt es sich um Verhaltensweisen, die jeder Internet-Nutzer zu unterschiedlichen Zeiten zeigt.
Viele Nutzer sehen zuerst die Mitte der Seite an, wenn sie für die Nutzer neu ist. Erst danach wird nach oben und an die Ränder geschaut.
Meist werden Bilder besser im Gedächtnis behalten als Text. Dies hilft manchen Nutzern auch beim Navigieren in großen Datenmengen, indem sie Seiten anhand der Bilder wieder erkennen.
Man kann Ästhetik oder "schönes" Layout somit ergonomisch begründen und produzieren:
Unterscheiden Sie Wichtiges von Unwichtigem und gestalten Sie es dementsprechend.
Wichtiges sollte man farblich leuchtend betonen und unwichtiges in Pastelltönen halten.
Einzelwirkungen können sich addieren oder subtrahieren. In manchen Fällen kann das eine Gesetz die Wirkung eines anderen aufheben oder sogar in sein Gegenteil umkehren.
Nur so viele Einzelwirkungen in Kombination einsetzen, wie zur Zielerreichung erforderlich.
Ausnahmegesetz: Unterschiede ziehen die Aufmerksamkeit an
Dissonanzgesetz: ungewöhnliche, widersprüchliche Objekte, ziehen die Aufmerksamkeit an.
Gewöhnungsgesetz: Bei Wiederholung wird der Reiz geringer.
Biologische Signale, angeborene Auslösereize, Eye-Catcher
Biologische Signale sind zweischneidige "Messer", da sie definitiv wirken, aber nicht immer, wie man es erwartet.
Niemand kann sich Ihrer Wirkung entziehen. Aber exakt dies kann einen gezielt vorgehenden Nutzer stören, da sie ihn von Inhalten und seinen Zielen ablenken.
Aufmerksamkeits-Sprachen sind Prinzipien zur Unterscheidung von wichtigen und unwichtigen Informationen.
Jeder Internet-Auftritt kann eigene Regeln für die Aufmerksamkeitsgewinnung besitzen.
Das Ziel ist: Die wichtigsten und interessantesten Inhalte sollen schnell gefunden werden.
Beim Kurzzeitgedächtnis geistert überall die Zahl 7+-2 herum. Diese in Laborversuchen gefundene Zahl legt die Zahl der Inhalte Fest, die das Kurzzeitgedächtnis abspeichern kann.
Wichtig hierbei sind sogenannte Chunks: gruppierte / geordnete Informationseinheiten, die auch höherer Ordnung sein können. (Buchstabe, Zahl, Wort, Bild, Vers, Satz, etc.)
Zur Zahl 7: The Magical Number 7, Plus or Minus Two: Some Limits on Our Capacity for Processing Information, Psychological Review, 1956, Band 63, Seite 81-97.
Aber die effektive Zahl der erinnerten Informationen hängt von vielen Details und Rahmenbedingungen ab, die im Labor immer besonders gut ausfallen, in der realen Welt jedoch niedriger liegen können.
Es bleibt somit unklar, ob man diese Ergebnisse 1:1 z.B. für die Länge der Navigation im Internet umsetzen kann.
Eine Navigation mit 9 wahllosen Elementen kann in vielen Fällen zu lang sein. In anderen Fällen kann bei einer nachvollziehbaren und leicht erkennbaren Gruppierung die Anzahl der Links evtl. sogar deutlich größer sein, da sich die Nutzer dann wiederum nur die Obergruppen im Kurzzeitgedächtnis behalten müssen.
Eine erhöhte Verarbeitungstiefe hilft beim Memorieren.
Je mehr mentale Operationen mit einem Inhalt vorgenommen werden, desto höher ist die Verarbeitungstiefe, und desto besser ist die Gedächtnisleistung.
Craik, F. I. M. & Lockhart, R. S.Levels of processing: A framework for memory research. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 1972, Bd. 11, S.671-684.
Craik, F. I. M. & Tulving, E. Depth of processing and the retention of words in episodic memory. Experimental Psychology: General, 1975, Bd. 104, S.268-294.
Widersprüche und ungewöhnliche Dinge regen eine tiefe Verarbeitung an.
Am Besten können Menschen sich Dinge merken, wenn sie darum herum eine lebhafte und bildreiche Geschichte konstruieren.
Da Bedürfnisse, Interessen, Einstellungen und Motive bei der Entstehung und Verteilung der Aufmerksamkeit eine große Rolle spielen, kann mittels Techniken Aufmerksamkeit geweckt, gehalten und gesteuert werden.
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